Herr Präsident der Generalversammlung,

Herr Generalsekretär,

Meine Damen und Herren Staats- und Regierungschefs,

Meine Damen und Herren Delegationsleiter,

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Vertrauen – Verantwortung – Engagement

 

Dies sind die drei Säulen, auf die wir die gegenseitige Hilfe und Kooperation zwischen unseren verschiedenen Ländern stützen: ein wirksamer Multilateralismus.

Dies sind die drei Werte, die wir benötigen, um diesen Multilateralismus zu schützen, und über die ich heute zu Ihnen sprechen will.

 

DIE PANDEMIE MUSS UNS DIE AUGEN ÖFFNEN

Das Jahr 2020 wird uns als ein leidvolles Jahr in Erinnerung bleiben. Die COVID-19-Pandemie hat uns völlig unerwartet getroffen. Jede unserer Nationen ist nun mit einer noch nie da gewesenen Krise konfrontiert.

Dieser Virus hat Hunderttausende Menschen dahingerafft. Er hat zahlreiche Familien weltweit zerstört. Auch die wirtschaftlichen Konsequenzen sind immens.

Er hat auch Ungewissheit und Fragen hinsichtlich der Zukunft über uns gebracht.

Dennoch dürfen wir dadurch nicht blind werden. Im Gegenteil.

Wir müssen die Augen hinsichtlich der Probleme öffnen, die diese Pandemie offengelegt hat, beispielsweise hinsichtlich unserer Gesellschaftsmodelle.

Wir müssen die negativen und überproportionalen Auswirkungen erkennen, die die Pandemie auf jene hat, die stark unter Ungleichheit leiden: Frauen und Mädchen, Kinder, ältere Menschen sowie Menschen mit einer Behinderung.

Niemand darf außen vor gelassen werden.

 

NICHT DIE ANDEREN HERAUSFORDERUNGEN VERGESSEN

Exzellenzen,

Meine Damen und Herren,

 

während wir mit Stärke und Entschlossenheit gegen die Pandemie und ihre Konsequenzen kämpfen, dürfen wir dennoch nicht den anderen Hauptproblemen des 21. Jahrhunderts den Rücken zukehren.

Die weltpolitischen Spannungen sind spürbar, und Konflikte wüten bereits oder kündigen sich in verschiedenen Teilen der Welt an. Diese Spannungen werden durch die Gesundheitssituation nur noch verschärft.

Sie gefährden das fragile Gleichgewicht unserer Welt.

Diese Konflikte sind nie unvermeidlich.

Sie haben jedoch immer verheerende Auswirkungen auf die Menschen…

Die Situation am Golf beispielsweise gibt nach wie vor Anlass zu ernster Besorgnis und erfordert äußerste Vorsicht.

Die Atomvereinbarung mit dem Iran (Joint Comprehensive Plan of Action; JCPOA) bleibt eine wesentliche Maßnahme, um den ausschließlich friedlichen Charakter des iranischen Nuklearprogramms zu gewährleisten. Wir müssen sowohl diese Vereinbarung als auch die Regelung für die Nichtverbreitung von Kernwaffen proaktiv bewahren.

Die Frage der bevorstehenden Aufhebung des Embargos für konventionelle Waffen darf das Nuklearabkommen und seine Errungenschaften nicht gefährden. Dies hat oberste Priorität für die Region und seine Stabilität, für die internationale Sicherheit sowie für die globale Nichtverbreitungsarchitektur.

Im Nahen Osten ist ein gerechter und dauerhafter Frieden das zu erreichende Ziel, doch ohne eine beständige und gerechte Lösung der Palästinenserfrage kann es keinen Frieden im Nahen Osten geben.

Es muss im Nahen Osten Frieden geben mit dem legitimen Recht Israels, innerhalb international anerkannter Grenzen in Frieden und Sicherheit zu leben.

Es muss im Nahen Osten zudem Frieden geben durch die Ausrottung des Terrorismus.

Ja, die Aussetzung der Pläne zur Formalisierung der Annexion von Teilen der besetzten palästinensischen Gebiete ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Aber das ist nicht hilfreich. Diese Pläne müssen definitiv aufgegeben werden. Die Annexion würde die Tragfähigkeit einer dauerhaften Lösung erheblich gefährden und die Tür für künftige Verhandlungen schließen.

Wir können uns zu den aktuellen Meldungen hinsichtlich der Normalisierung der Beziehungen von Israel mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein beglückwünschen. Dieser Lichtblick kann ein Eckstein für den Frieden und die Stabilität in der gesamten Region sein.

Die internationalen und multilateralen Bemühungen um eine sinnvolle Wiederaufnahme der Gespräche müssen jedoch aktiv unterstützt werden, um eine einvernehmliche und tragfähige Zwei-Staaten-Lösung auf Grundlage des Völkerrechts und der UN-Resolutionen zu ermöglichen.

Die Sicherheitslage in einem großen Teil der Sahelzone bleibt trotz zahlreicher Anstrengungen und eines verstärkten internationalen Vorgehens sehr besorgniserregend.

Nach dem Staatsstreich von Meuterern der malischen Streitkräfte wurde die Rechts- und Verfassungsordnung Malis infrage gestellt.

Den legitimen Forderungen, Bestrebungen und Frustrationen der malischen Bürger, welche auf Lösungen warten, um sich den zahlreichen Herausforderungen in ihrem Land stellen zu können, darf nicht auf diese Weise begegnet werden. Unsere Unterstützung konzentriert sich auf alle regionalen und innerstaatlichen Anstrengungen, damit so schnell wie möglich in Bamako ein ziviler Übergangsprozess errichtet werden kann, um die Verfassungsordnung wiederherzustellen.

Viele Herausforderungen in Mali betreffen die gesamte Region.

Der Terrorismus, die Konflikte zwischen Hirten und Bauern sowie die interkommunalen Spannungen stellen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko dar.

Die Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus, wobei der Schwerpunkt auf einer guten Regierungsführung liegt, sowie der Kampf gegen Straffreiheit, die Verstärkung der demokratischen Institutionen, der Umgang mit den Beschwerden der Randgruppen sowie eine nachhaltige und integrative Entwicklung erfordern alle einen ganzheitlichen Ansatz.

Parallel dazu leiden weltweit immer mehr Regionen an den gesundheitlichen, sicherheitspolitischen und humanitären Auswirkungen des Klimawandels und des Verlusts der Artenvielfalt.

Die Dürre und die unberechenbaren meteorologischen Bedingungen treiben die Menschen aus ihrer Heimat, sei es in Somalia, im Jemen oder in Afghanistan. Das Schmelzen des Polareises führt zu einer Militarisierung der Arktis.

Die Auswirkungen des Klimawandels verstärkt die sozialen, politischen, wirtschaftlichen und umweltrelevanten Ursachen der Konflikte.

Der Klimanotstand ist eine Herausforderung für den Frieden. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.

Diese Angelegenheit betrifft jeden Einzelnen von uns.

Die Verfolgung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und ganz allgemein die Agenda 2030 sind wesentliche Instrumente zur Bewältigung der gegenwärtigen globalen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, nämlich Armut, Ungleichheit, Klima und Umweltzerstörung.

Effizienter Multilateralismus als Antwort

Exzellenzen,

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

angesichts dieser globalen Herausforderungen müssen wir handeln.

Und zugeben, dass wir es nicht allein schaffen können.

Keine der von mir genannten Herausforderungen kann allein angegangen werden. Keines dieser komplexen Probleme hat einfache Lösungen.

Wir haben keine andere Wahl als unsere Kräfte zu bündeln, selbst wenn es bedeutet, das Offensichtliche zu überdenken oder sogar unsere Paradigmen zu ändern. Jedoch müssen die getroffenen Maßnahmen immer in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta erfolgen.

Der Multilateralismus funktioniert nicht per definitionem; er funktioniert, weil es einen gemeinsamen Willen gibt, ihn zum Erfolg zu führen.

Wenn dies die Aufgabe der Handelnden schwierig und die Aufgabe der Nachdenkenden leichter macht, so sei es so. Doch weichen wir nicht von unserem Ziel ab!

Gerade wenn seine Relevanz in Frage gestellt wird, offenbart der Multilateralismus seine Unverzichtbarkeit.

Mehr denn je brauchen wir jetzt einen wirksamen Multilateralismus.

Niemals als Selbstzweck.

Immer als eine Möglichkeit, die Probleme anzugehen, an denen wir alle auf die eine oder andere Weise beteiligt sind.

Als Möglichkeit, frontale Krisen zu verhindern.

Durch Vertrauen, Verantwortung und Engagement.

 

VERTRAUEN

Exzellenzen,

Meine Damen und Herren,

 

wenn ich Vertrauen sage, meine ich das Vertrauen in uns selbst. Das Vertrauen in unsere individuellen und gemeinsamen Fähigkeiten, wie sie unsere Gesundheitsdienste verkörpern, um gegen die Pandemie anzukämpfen.

Vertrauen in unseren Mut, in unsere Resilienz, unser Knowhow und in unser verantwortungsvolles Verhalten zusammen mit unseren wissenschaftlichen Fortschritten, um den Klimawandel abzuschwächen.

Vertrauen in unseren Willen, eine nachhaltige Entwicklung für alle zu erreichen.

Die internationale Gemeinschaft hat bereits große Herausforderungen bewältigt, und wir werden dies erneut tun. Resignieren ist keine Option.

Wenn ich Vertrauen sage, meine ich auch gegenseitiges Vertrauen. Dieses Vertrauen verpflichtet uns alle, unser Wort zu halten; es verpflichtet uns zu einem ständigen Dialog und dazu, uns in die Lage des anderen zu versetzen.

Wenn wir dies nicht tun, oder wenn sich gar Misstrauen einstellt, wird die notwendige Zusammenarbeit früher oder später schwer. Um nicht zu sagen unmöglich.

Wenn ich Vertrauen sage, meine ich eine verantwortungsvolle Regierungsführung auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene, um sich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu verdienen.

Wenn ich Vertrauen sage, meine ich letztlich auch Vertrauen in die Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit, die auf der unerschütterlichen Überzeugung aufbauen muss, dass alle Menschen gleich sind und dass keine Form der Diskriminierung daran etwas ändern kann.

 

VERANTWORTUNG

Exzellenzen,

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Vertrauen, Verantwortung, Engagement.

In der Eigenschaft als Vereinte Nationen haben wir die Verantwortung dafür, dass die Weltordnungspolitik funktioniert. Wir tragen auf unterschiedliche Weise und auf unterschiedlichem Niveau dazu bei, aber jedes Mitglied profitiert davon. Wir sind die Vereinten Nationen.

Als solche teilen wir die Verantwortung dafür, dass der Multilateralismus funktioniert. Und dafür, seinen Mehrwert aufzuzeigen.

Darum stützen wir uns voll und ganz auf die weitergehenden Bemühungen von Generalsekretär Antonio Guterres zugunsten einer Reform der UNO.

Eine Reform im Hinblick auf größere Wirksamkeit, höhere Transparenz sowie bessere Reaktionsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit.

Wir bekräftigen auch unsere volle Unterstützung bei der Initiative „Aktion für Friedenssicherung“. Dies ist die Anerkennung der Notwendigkeit, eines der wichtigsten Instrumente der internationalen Gemeinschaft zu wahren, um politische Prozesse zu unterstützen, Hunderttausende von Zivilisten zu schützen und zur Sicherung von Waffenstillständen beizutragen.

Damit Weltordnungspolitik und Multilateralismus funktionieren, darf auch das Funktionieren der bestehenden Institutionen dieser Initiative nicht beeinträchtigt werden.

Belgien bekräftigt daher seine nachdrückliche Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof, wesentliches Organ im Kampf gegen die Straffreiheit für die schwersten Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes betreffen. In seiner Eigenschaft als unabhängige und unparteiische Institution spielt der Internationale Strafgerichtshof in diesem Bereich eine unverzichtbare Rolle.

Verantwortung bedeutet auch, dass wir uns den Herausforderungen stellen. Dass wir von ihrer Identifizierung zu Taten übergehen. Das ist unsere Verantwortung im Hinblick auf unsere Mitmenschen, aber vor allem auch im Hinblick auf unsere Kinder und nachfolgende Generationen. Daher möchte ich nun über Engagement sprechen.

 

ENGAGEMENT / UNTERNEHMUNGEN SEITENS BELGIEN

Was mein Land betrifft, ist die Verbundenheit mit dem Multilateralismus Teil seiner DNA.

Unsere Tradition der Kompromissfindung ist vielleicht Teil unserer Geschichte.

Die internationalen Vorschriften schützen uns.

Die Kooperation und unsere engen Verbindungen haben uns gestärkt.

Ein wirksamer Multilateralismus ermöglicht es uns, über unser relatives Gewicht hinauszugehen. In diesem Vorgehen haben wir alle, Groß und Klein, eine Stimme und einen Mehrwert.

Durch Engagement hat Belgien nun sein sechstes Mandat im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen inne.

Als ein für 2019 und 2020 gewähltes Mitglied verpflichten wir uns weiterhin tagtäglich neu, Frieden und Sicherheit voranzubringen.

Dabei stellen wir fest, dass der Sicherheitsrat gegen geopolitische Spannungen nicht immun ist. Wir sehen eine nicht vollkommene Institution. Wir sehen 15 Staaten, die nicht immer in der Lage sind, alle Konflikte zu lösen.

Wir sehen jedoch auch eine große Mehrheit einstimmiger Entscheidungen.

Die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den gewählten Mitgliedern ist inspirierend.

Die bisher unternommenen Schritte, um neue Sicherheitsbedrohungen wie beispielsweise den Klimawandel zu diskutieren, sind ermutigend.

Weitere künftige Ambitionen der Vereinten Nationen sind diesbezüglich die Übergangsjustiz sowie ein weltweit geltender menschenrechtsbasierter Ansatz sowie die zentrale Bedeutung von Gerechtigkeit und die Rechenschaftspflicht.

Auch stehen Bestrebungen im Vordergrund, die eine Koordination zwischen den verschiedenen nationalen und internationalen Akteuren erfordern und an denen sich Belgien weiterhin beteiligen wird.

Engagement ist auch die treibende Kraft hinter der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe meines Landes.

Das hat unser Land dazu veranlasst, UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten) über mehrere Jahre zu unterstützen, so dass Belgien zu einem seiner größten Stifter geworden ist, um das Leben der palästinensischen Flüchtlinge zu verbessern.

Das Engagement Belgiens spiegelt sich auch in seiner Position als einer der wichtigsten europäischen Geber für den Jemen wider.

Wir unterstützen UNICEF im Hinblick auf die Überwachung der Kinderrechte in Konflikten.

Das Engagement Belgiens zeigt sich in seiner Weitsicht hinsichtlich seiner direkten mehrjährigen Finanzierung von UN-Organisationen, die in der Entwicklungshilfe tätig sind. Dies erlaubt langfristige und adäquate Handlungsmöglichkeiten bezüglich der zahlreichen Krisen.

Im Rahmen seines fortwährenden Engagements für die Arbeit und die strategischen Ziele der UN Women, deren 10-jähriges Bestehen wir dieses Jahr feiern, setzt sich mein Land für die systematische Einbeziehung des Gender-Mainstreaming in die Maßnahmen ein. Dies ist ein Kernprinzip unserer Außenpolitik. In diesem Zusammenhang unterstützen wir mit Überzeugung die Aktion von Dr. Denis Mukwege im Namen der weiblichen Opfer sexueller Gewalt im Ostkongo.

Engagement ist auch ein Markenzeichen unserer Streitkräfte. Beispiele hierfür sind die Bekämpfung des Terrorismus mithilfe der Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat sowie die Teilnahme an multilateralen Friedensmissionen in Mali und Afghanistan unter der Schirmherrschaft der UNO, der Europäischen Union oder der NATO.

Schließlich muss sich eine starke und solide Organisation auf die Ressourcen stützen können, die die souveränen Staaten, aus denen sie sich zusammensetzt, ihr zur Verfügung stellen.

Belgien setzt seine Bemühungen fort, damit die Vereinten Nationen rechtzeitig über die notwendigen Mittel für ihr Handeln verfügen, was ein unverzichtbarer Bestandteil eines wirksamen Multilateralismus ist.

 

 

SCHLUSSWORT

Exzellenzen,

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

obwohl wir in diesem Jahr den 75. Jahrestag der Vereinten Nationen unter sehr speziellen Umständen feiern, dürfen wir nicht dem Pessimismus anheimfallen.

Wir müssen wieder aufstehen, uns den aktuellen Herausforderungen stellen und auf dem bisher Erreichten aufbauen.

In den kommenden Wochen werden wir 20 Jahre Fortschritt in der UN-Resolution Frauen, Frieden und Sicherheit und den 25. Jahrestag der Pekinger Arbeitsplattform feierlich begehen.

Dies sind multilaterale Erfolge in Bezug auf die Etablierung eines globalen politischen Rahmens für die Rechte der Frauen. Es sind zwei konkrete Beispiele dafür, was wir gemeinsam tun können, um das tägliche Leben der Hälfte der Weltbevölkerung zu verbessern. Das ist viel wert. Jedoch muss hier noch eine Menge getan werden.

Alles, was ich gerade erwähnt habe, erinnert uns daran, dass Multilateralismus funktionieren kann; es erinnert uns an die vielen Vorteile eines wirksamen Multilateralismus.

 

Also, unterstützen wir das!

Ohne zu zögern.

Mit Vertrauen, Verantwortung und Engagement.

 

Vielen Dank.